Eine Meditation der anderen Art

Es war mal wieder einer dieser unzufriedenen, langweiligen Tage. Mit mir selbst anfangen konnte ich nicht wirklich etwas. Ich war schlecht gelaunt, unzufrieden mit mir und der Welt, gelinde gesagt nicht wirklich toll drauf. Ein Gefühl, welches sicherlich jeder von Euch schon das eine oder andere Mal erlebt hat.
Das Wetter war solala, im Fernsehen nachmittags um diese Uhrzeit kommt eh nur dummes Zeugs und meine Frau war auch schon etwas von meinem Missmut angesäuert.

Schreiben – keine Lust.
Telefonieren – keine Lust.
Mittagsschlaf – keine Lust.
Keine Lust zu gar nichts.

Was also machen? Bevor ich also jetzt den gesamten Rest-Tag mit einer miesen Laune daheim verbringe, kann ich auch genauso gut raus gehen. Etwas an die frische Luft. Spazierengehen, dann nerve ich mit meiner Übellaunigkeit wenigstens nicht meine Partnerin und verpeste zu Hause nicht weiter unnötig die Luft.

Gesagt – getan.

Beim Schuhe anziehen noch fünfmal überlegt, ob ich es nicht besser bleiben lassen soll. So, Walkingstöcke oder nicht? Ich entscheide mich dagegen. Will ja, sollte ich wirklich jemandem begegnen, nicht auch noch aussehen wie ein alter Mann. Wenigstens ein bisschen den Schein und die Stimmung wahren. Also stehen lassen. Jacke an, Tür zu. Los geht’s. Was für ein jämmerlicher Anblick, dachte ich mir. Hoffentlich treffe ich niemanden. Den Blick in den Spiegel vermeide ich beflissentlich, brauche mir das Elend ja auch nicht noch näher anzuschauen.

Die ersten Meter quäle ich mich rum. Es sind ungefähr 500 Meter bis zum Feld. Auch das noch, da sitzen doch wirklich Welche in ihrem Gärtchen. „Guten Tag“ quäle ich mich ab zu sagen. Lasst mich bloß in Ruhe und fragt mich nichts, denke ich. Das letzte Dorf im Haus, geschafft. Eigentlich könnt ich doch jetzt wieder umdrehen, wirklich Bock habe ich nicht weiterzulaufen.
Nein, die Vernunft siegt.
Na dann versuch ich mal mein gesamtes Programm des positiven Denkens und der Selbstaufheiterung:
Mir geht’s gut, mir geht’s gut, mir geht’s gut, brummle ich permanent vor mir hin.
Nein, mir geht’s nicht gut, schleicht sich doch bei jedem Satz dazwischen.
Also weiter, alles aufzählen, was ich heute positiv und toll fand, mindestens zwanzig Dinge:

Ich habe es geschafft aufzustehen,
ich habe gut gefrühstückt,
ich habe mich geduscht,
ich habe mich gut mit meiner Frau unterhalten,
ich habe eine Zigarette im schönen Garten genossen,
ich habe gute Musik gehört…………

Mist, diese Gedanken geben mir heute nicht wirklich ein Gefühl des Frohlockens und der Fröhlichkeit. Also auch wieder nichts.

Ups, zwischenzeitlich schon fast zwei Kilometer gelaufen. Ist mir gar nicht aufgefallen. Ein Glück, da vorne bei der alten renovierten Mühle steht eine Bank, da kann ich ja mein nächstes fröhlich machendes Mittelchen ausprobieren: Meditation.
Ich schleppe mich dorthin, angekommen lasse ich mich drauf fallen wie ein nasser Sack.
Puh, dieselbe Strecke wieder zurück, denke ich.

Also, gerade hinsetzen, den Rücken gerade an die Rückenlehne, (ja ich weiß, normalerweise an die Vorderkante setzen mit geradem Rücken, aber das geht aufgrund meiner Schmerzen nicht, basta) Augen schließen, die Hände sanft auf die Oberschenkel Handflächen nach oben, Daumen und Zeigefinger aneinander, perfekt.
Jetzt ruhig ein und ausatmen. Beim Einatmen stelle ich mir vor, wie sich mein Brustkorb füllt, wie ich alle Negativität aus meinem Körper mitnehme. Dann ausatmen, alles Negative ausatmen und loslassen.

„BLÖÖÖÖCK, BLÖÖÖÖCK,

Scheiße, was ist das jetzt? Kann doch wohl nicht wahr sein. Ich öffne die Augen, versuche dieses mich in meiner Selbstfindung absolut unpassende Geräusch zu orten. Kann doch jetzt wohl nicht wahr sein. Zehn Meter vor mir auf einer umzäunten Weise stehen mehrere Schafe und glotzen mich blöde an. Könnt ihr das nicht leise machen, denke ich, schließe wieder meine  Augen und versuche mich erneut zu konzentrieren. Na geht doch, denke ich.
Du sollst nicht denken beim Meditieren, sagt mir eine andere Stimme in meinem Kopf. Ja ja, ich weiß, will ich schon anfangen, meinen eigenen Dialog zu führen.
STOP, so geht’s aber gar nicht. Ok, also jeden Gedanken ausatmen, wie eine Wolke vorbeiziehen lassen und mich wieder auf meinen Atem konzentrieren.
Klappt doch prima, denke ich gerade.—

DU SOLLST NICHT DENKEN, sagt mir da wieder meine Vernunfts-Stimme.
Neues Spiel, einatmen, ausatmen, einatmen, ausatmen, einatmen, ausatmen.
Was ist das? Hinter mir raschelt es. Ich ignoriere es.
Weiteratmen.
Neben mir raschelt es, vor mir raschelt es.
Weiteratmen.
Jetzt vermischt sich mit dem Rascheln ein Fiepsen.
Nun bin ich aber doch neugierig geworden. Ganz langsam, ohne mich auch nur im Geringsten zu bewegen oder meine Atmung zu verändern öffne ich meine Augen.
Sofortige Ruhe, kein Rascheln mehr. Anscheinend habe ich mich doch etwas bewegt. Also jetzt will ich es aber wissen. Ich bewege mich keinen Millimeter, atme fast unhörbar und all meine Sinne sind vollkommen gespannt. Ich registriere, dass ich auf meiner Bank genau unter einem Baum sitze, links und rechts neben mir etwas unaufgeräumtes Tod-Holz, hinter mir beginnt der Wald.
Da, jetzt höre ich es wieder. Leise fängt es an zu rascheln, wie wenn um mich herum auf dem Boden etwas herumwieselt. Ich wage kaum, meinen Kopf zu bewegen. Jetzt fängt es auch an zu piepsen. Ganz vorsichtig drehe ich meinen Kopf zur Seite und kann nur noch aus den Augenwinkeln ein Huschen und Wegrennen erblicken. Doch zu hektisch von mir gewesen.

Nächster Versuch:
Ruhig atmen, nicht bewegen! Da, es geht wieder los. Wie in Zeitlupe drehe ich meinen Kopf. Das knacksende Geräusch in meinen Halswirbeln, welches ich wahrnehme, wird doch wohl hoffentlich nicht nach außen dringen. Glück gehabt…….

Auf einmal kann ich es erkennen.  – Mäuse!!! --- Gott wie goldig. Überall um mich herum sind Mäuse. Sie rennen herum, kleine Babymäuse, etwas größere, wahrscheinlich Papa und Mama Mäuse.
Mann ist das toll. Ich bin fasziniert. Nur noch am Beobachten. Solange ich mich nicht bewege kennen diese kleinen Dinger überhaupt keine Scheu. Eine rennt doch glatt über meinen Schuh. Ich bin vollkommen weg, dieses Schauspiel mit anschauen zu dürfen. Ich schätze mal es müssen über zehn Stück sein. Ich bin nur noch am Grinsen vor lauter Freude, gleichzeitig aber vollkommen achtsam und bewusst beobachtend.

Irgendwann, gefühlte zwanzig Minuten später merke ich aber doch langsam eine gewisse Steifigkeit in meinem Körper. Ich muss mich einfach bewegen. Zack, sofortiges doppelt so schnelles Wuseln und alle Mäuse sind weg.
Mann war das toll, denke ich mir. Ich glaube ich strahle über das ganze Gesicht vor Freude.
Meine Knochen sortierend stehe ich auf und mache mich auf den Heimweg. Die schlechte Laune ist wie weggeblasen. Ich bin richtig gut drauf. Meine Gedanken sind immer noch bei dem Erlebnis mit den Mäusen. Wow, denke ich, das war wirklich eine super schöne, befreiende und gute Meditation gewesen, wenn auch nicht der herkömmlichen Art.

Ich war achtsam, bewusst, war in jedem Moment vollkommen Anwesend im Hier und im Jetzt. Und mir geht es sehr gut.
Danke dafür.

©M.E.Hoffmann, Juli 2014